Die Ausgangssituation

Monolithische Datenbankanwendung mit dem Charme der frühen 90ger Jahre


Gegenstand der Untersuchung im Rahmen der Diplomarbeit war eine Außendienstanwendung, die im folgenden als ABC-PC (Name verändert) bezeichnet wird. Sie wurde von der ABC Versicherung (Name verändert) entwickelt und wird vor allem im ABC Außendienst und in den ABC Generalagenturen eingesetzt. Es ist ebenfalls geplant, sie den mit der Versicherung kooperierenden Banken zur Verfügung zu stellen. Damit besitzt ABC-PC für das Unternehmen eine hohe betriebswirtschaftliche Bedeutung.

Abbildung 3 – Oberfläche der Außendienstanwendung „ABC-PC“

ABC-PC stellt unter einer einheitlichen Oberfläche, die Funktionalität für die Kundenbetreuung, die Produktkonfiguration und die Angebots- und Antragserstellung zur Verfügung. Dazu zählt u.a. die Interessenten- und Kundendatenverwaltung und die Beratungsfunktion. Die Interessenten- und Kundendatenverwaltung erlaubt beispielsweise die Erfassung von Kundenangaben (z.B. Namen, Adressen, Geburtsdaten, Beziehungen zu anderen Personen) und die Erstellung einer Historie, in der die Entwicklung des Kunden aufgezeigt wird. Die Beratungsfunktion untergliedert sich gemäß der Sparteneinteilung (KFZ, Rechtsschutz, Gebäude, Finanzierung, Haftpflicht) in verschiedene Unterprogramme. In jedem der Unterprogramme ist dann die Funktionalität zur Erstellung von Angeboten und Anträgen realisiert.

Die in ABC-PC realisierte Funktionalität ist auch dafür geeignet, um ein Direktmarketing über neue Vertriebswege zu ermöglichen. Zu diesen neuen Vertriebswegen gehören beispielsweise das Internet, Service-Marketing-Terminals (Kiosksysteme) und das Call Center. Über diese unterschiedlichen Wege soll die Information der Kunden, die Angebotserstellung und der Verkauf von Dienstleistungen (z.B. die Antragserstellung) möglich sein.

Dazu muß genau die Funktionalität, die heute schon durch ABC-PC geboten wird, für neue Anwendungen zu Verfügung gestellt werden. Natürlich kommt eine vollständige Neuentwicklung aufgrund des damit verbundenen Risikos und der bereits getätigten Investitionen nicht in Frage.

In der Fallstudie findet sich ein deutlicher Bezug zu betriebswirtschaftlichen Anwendungsfeldern der komponentenbasierten Reorganisation. Beispielsweise ist die Erschließung des WWW und des Internet als neuen Vertriebsweg ein solcher Bezug. Gerth führt zu diesem Thema aus, daß die Möglichkeiten des WWW zur Beratung, zur Konfiguration komplexer Produkte und Dienstleistungen und zum Vertrieb ein erhebliches Konfliktpotential mit der Absatzmittlerseite (z.B. Außendienst) in sich birgt.[7] Die Absatzmittler stehen in unmittelbarer Konkurrenz zu dem neuen Vertriebsweg, haben jedoch erheblich höhere Aufwendungen (z.B. Mieten, laufende Kosten). Neben der traditionellen Lösung dieses Konfliktes, das WWW nur als Informationsmedium zu nutzen und den Verkauf nur durch Absatzmittler zu ermöglichen, wie es auch Gerth und auch Link[8] vorschlagen, gibt es andere alternative Ansätze. Ein bekannter Ansatz ist, neue oder veränderte Produkte im WWW anzubieten, die nicht mit den traditionellen Produkten konkurrieren. Solche Produkte können dann speziell auf die Kundengruppen, die das WWW nutzen, zugeschnitten sein.

Hammer und Champy weisen darauf hin, daß sich organisatorische Aspekte häufig in den verwendeten Softwaresystemen widerspiegeln. Auch ABC-PC realisiert die Funktionalität zur Beratung unterschiedlicher Produkte in unterschiedlichen Unterprogrammen. Um neue Produkte oder Produktkombinationen flexibel (z.B. gemäß der Zielgruppe oder Saison) im WWW anbieten zu können, muß diese Struktur überwunden werden.

Als weitere Rahmenbedingung gilt für die Erschließung des WWW als Vertriebsweg, daß keine Komponenten (vollständig) neu entwickelt werden sollen. Statt dessen sollen durch Wiederverwendung der bestehenden Anwendung Teile herausgelöst werden, die dann in der Internet-Datenbankanwendung (und voraussichtlich auch in weiteren Anwendungen) wieder­verwendet werden können. Zusätzlich sollen die Teile so gestaltet sein, daß sie nicht die Spartenorientierung widerspiegeln, sondern auch in unvorhersehbaren Kombinationen (z.B. in Kombinationsprodukten oder Produktpaketen) eingesetzt werden können. Hier ist also eine Architektur gefordert, die eine maximale Flexibilität ermöglicht.

Von der ABC Versicherung wird die Einführung der komponentenbasierten Entwicklung „als ein Weg betrachtet, die Einschränkungen der bestehenden Informationsarchitektur zu überwinden.“[9] Die komponentenbasierte Reorganisation bietet einen Übergang von der traditionellen zur komponentenbasierten Anwendungsentwicklung, wobei die Risiken und Kosten minimiert, die Wiederverwendung maximiert und gleichzeitig eine flexible Architektur geschaffen wird. Diese Vorteile der komponentenbasierten Reorganisation eröffnen sich aufgrund ihrer Nähe bzw. aufgrund des mit ihr einhergehenden Übergangs zur komponentenbasierten Entwicklung allgemein. Eine vollständige Betrachtung aller Impulse die von der komponentenbasierten Reorganisation ausgehen und der Wechselwirkungen ihrer Konzepte mit betriebswirtschaftlichen Anforderungen kann in dieser Arbeit nicht erfolgen. Es ist aber umgekehrt auch nicht möglich, diese Aspekte vollständig auszuschließen. Daher wird der aufmerksame Leser an vielen Stellen Bezüge entdecken können.


[7] vgl. [Gerth, 1998]

[8] vgl. [Link, 1998]

[9] [Gernot&Dern, 1998], S. 77